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„You press the button, we do the rest“

To beginn at the beginning:
Seit der Installation des neuen Apple-Betriebssystems OS X 10.7 sind kleine Details der Interaktion mit dem Rechner plötzlich anders als vorher. Zwei kleine und mir dennoch bedeutend erscheinende Änderungen will ich hier mal kurz beschreiben:

1. Scrollen mal andersrum
Das Scrollen des Bildschirminhalts oben <> unten hat sich drastisch verändert: Das geht nun genau andersherum?!

Bisher war es so:
Um den untenstehenden Inhalt einer Website zu sehen, habe ich mit meiner Mouse entweder nach unten gescrollt oder aber den Regler im seitlichen Scrollbalken nach unten geschoben. Ich habe also mit einem Eingabe- bzw. Bedienwerkzeug dorthin gezeigt, wo ich hinwollte: Nach unten. Ergebnis: Der Bildschirminhalt wurde nach oben geschoben

Seit OSX 10.7 ist es genau andersherum:
Um den untenstehenden Inhalt einer Website zu sehen, muss ich nun mit der Mouse nach oben scrollen. Das ist im ersten Moment verwirrend. Und einen Schieberegler am rechten seitlichen Fensterrand gibt es standardmäßig überhaupt nicht mehr. Der erscheint nur noch als Navigations-Kontrolle während des Scrollens und verschwindet dann wieder. Ergebnis: Der Bildschirminhalt wird nach oben geschoben.

Diese Veränderung erscheint vielleicht profan, führt aber zu Verwirrung, wenn man grad frisch das Betriebssystem aktualisiert hat oder an verschiedenen Geräten mit unterschiedlichen Betriebssystem-Versionen arbeitet. Dann scrollt man nämlich instinktiv erstmal immer falsch herum :-)
Ich denke, dass wir es hier mit einer Veränderung zu tun haben, die aus der mobilen Welt kommt. Smartphones und Tablet-PCs brauchen für solche Verschiebungen des Inhalts gar keine Werkzeuge mehr – also keine Scrollbalken oder Eingabegeräte. Da passiert das einfach mit einem Fingerwisch – und zwar immer in die Richtung, in die sich der Inhalt gefälligst bewegen soll. Inhalt nach oben = Bewegung nach oben.
Meine These lautet:
Die Handhabung von Desktop-Betriebssystemen wird verstärkt der Handhabung von mobilen Endgeräten folgen.

Ein weiterer Beleg? Bitteschön:
2. Die Apps kommen im Vollbild
Ich meine an dieser Stelle mit „Apps“ nicht das, was wir bis neulich noch darunterverstanden: kleine Programme zur Nutzung auf Smartphones und Tablets. Apps steht hier für alle Programme, für „Applications“, die es für Apple-Rechner seit einiger Zeit schon im „App-Store“ zu kaufen gibt. Alles ist also momentan irgendwie eine App.
Und die kommen nun wieder im Vollbildmodus daher. Nachdem wir jahrelang gelernt haben, dass wir mehrere Programme gleichzeitig sehen und kontrollieren können (Windows-User, Ihr auch?) und dafür auch die Monitore immer größer wurden, ändert sich das grad im Moment: Zumindest die Apple-eigenen Programme (iPhoto, imovie, Photobooth, Keynote, Pages, …) fordern nun direkt und selbständig den Vollbildmodus an. Alles andere soll gefälligst für die gerade aktive Applikation unsichtbar werden.
Und auch das ist eine Veränderung, die aus der mobile-Welt herüberschwappt. Denn dort ist selbstverständlich alles und immer im Vollbildmodus zu sehen.

Sind schon jemandem weitere Anpassungen dieser Art aufgefallen? Dann bitte ich um eine Info. Spannend, spannend …

Wem das alles zu viel Text ist, der wird sich vor dem folgenden Link noch mehr grausen: Claudia Becker von der UdK Berlin zur Philosophie der Benutzeroberfläche. Vielmehr: Sie fordert eine. Und das sehr fundiert, unter dem Titel „Lob der Oberflächlichkeit“:

„Das Bildliche, die Oberfläche ist nicht mehr nur der Bastard einer Textkultur oder Parasit der Erkenntnis. Die Oberfläche, das Oberflächige ist zum Promotor für die Informationsvermittlung und Wissenserzeugung geworden. Sie ist zur Schnittstelle der Mensch-Maschine Interaktion geworden, in die wir nun mittels unserer Fingerspitzen eintauchen. So muss das Bildliche der Kunstgeschichte ebenso entzogen werden wie der Massenmedialität, um in einer neuen Weise unterscheidungsfähig, also kritikfähig beschrieben werden zu können.“

„Gesellschaftskritik ist nicht mehr nur Maschinenkritik, sondern muss als Kritik der Bilder und der intelligenten Strategien der Visualisierung neu gefasst werden. Man darf hier die anthropologische Dimension der Benutzeroberflächen und der Technik im allgemeinen nicht unterschätzen und so müssen sich die Programmierer ihrer gesellschaftlichen Verantwortung wieder bewusst werden und beginnen Informatiker zu sein.“

Hier gibt’s den ganzen Text:
http://www.heise.de/tp/artikel/35/35951/1.html

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